(Alle Namen sind im folgenden geändert.)
Frau Meier lacht. Sie lacht oft, ein verschmitztes Grinsen, wie wenn sie gerade etwas angestellt hätte. Frau Meier kann sich kaum erinnern, was eben gerade war, noch wo sie sich genau befindet. Doch sie ist ganz präsent. Sie erinnert sich an mich und freut sich über das Wiedersehen. Ich weiss nicht, was es ist, das sie erinnern lässt.
Frau Gabathuler schläft. Das freut mich. Sie kann sich entspannen und ausruhen. Vielleicht klingen die ruhigen Klänge der Klangschale, das herzhafte Singen der Mitbewohnerinnen oder der Stimmlaut meiner Predigt auch im Raum der Träume - vielleicht auch nicht.
Herr Matzinger ist erst seit vier Wochen hier. Von seinem neuen Wohnort ist er noch nicht wirklich überzeugt. Regeln, Tagesabläufe und die Trennung von seiner Frau, die noch alleine wohnen kann, machen ihm sichtlich zu schaffen. Er muss sich an die neue Lebenssituation gewöhnen.
Frau Möckli möchte sterben. Seit Wochen trägt sie diesen Wunsch in sich. Und doch bringt sie jede Woche die Energie auf und kommt zur Andacht ins Erdgeschoss. Manchmal fällt sie in einen ruhigen Schlaf, um im nächsten Moment wieder aufmerksam zuzuhören. Ihre Augen sind wach auf mich gerichtet. Sie sucht Frieden.
Einige kommen nicht mehr. Sie finden die Kraft nicht mehr oder sie sind verstorben.
Die Andachten im Pflegeheim gehören mit zu den stärksten Momenten der Woche. Sie bringen Abwechslung in den Wochenablauf des Pflegeheims und zeigen mir eine Welt, zu der man als 30jährige sonst kaum Zugang hat. Gemeinsam mit den Bewohnerinnen tauche ich in eine andere Welt ein, in die göttliche Welt, eine Welt des Zuspruchs und des Friedens. In dieser Welt sind die Altersgrenzen ganz aufgehoben. Wenn ich den betagten und pflegebedürftigen Menschen aus der Bibel vorlese, einige Gedanken formuliere, mit ihnen ins Gespräch komme, wenn ich die Klangschale anklingen lasse, mit ihnen bete und singe oder Kerzen anzünde, dann weht der Heilige Geist diskret-verhalten durch den Raum.
Fünfundvierzig Minuten Andacht rücken meinen Alltag wieder ins rechte Licht. Ich gehe beschwingt und mit einem verschmitzten Lachen ins Büro zurück - das Lachen von Frau Meier.