Zürich, Idaplatz, Frühlingssonne. Mit der Sommersonne kommt auch die Energie zurück, die die letzten Wochen unter dem Teppich lag. Die Blogger-Vikarin war am Ende. Nun melde ich mich zurück an die Tasten!
Eine angenehme Nebenerscheinung der vielen Kurswochen während des Vikariats sind die Aufenthalte in Zürich. Aufgewachsen in St.Gallen fand ich die Stadt konsequent doof (alle sind gestresst und versnobt) und liess mich auch als Berner Studentin widerstandslos von den Vorurteilen tragen (it's all about money). Das ist nun vorbei! Zürich hat was. Nach 31 Jahren haben sich meine Vorurteile in Luft aufgelöst und ich finde Zürich einen würdigen London-Ersatz. Hallo Frühling! Hallo Idaplatz!
Aber was war los mit der Vikarin, zwischen dem Meditieren in Montmirail und dem Predigtschreiben am Idaplatz am Sonntagabend? Die Selbstreflexionskrise hat einen neuen Höhepunkt erreicht und ich fand es hart, mich selber und die tagtägliche Auseinandersetzung mit meinem Schaffen und Wirken zu ertragen. Ich habe den Wechsel der Vikariatsgemeinde unterschätzt. Jetzt, da schon alle vom Abschiednehmen reden, lernen mein neuer Ausbildungspfarrer Christoph und ich uns gerade kennen und steigen in einen gemeinsamen Lernprozess ein. Nach einem relativ holprigen Start in Sachen Feedback und langen Gesprächen sind wir nun angekommen, so scheint es mir, und können loslegen. Dass die berühmtberüchtigten Prüfungsdossiers (darüber gibt's BESTIMMT noch einen Blog) und Abschlussberichte auf der Bildfläche erscheinen, passt gerade nicht ins Konzept. Total azyklisch!
Ich entdecke die Faszination Klangzeit und auf welch kreative Weise Klang und Musik den Kirchenraum und die Menschen bereichern und inspirieren können. Der Schlüssel zur Heiligkreuz-Kirche verschafft mir jederzeit Zutritt zu einer berührend-atmosphärischen Klangwelt mit meterhohen Obertonpfeifen und Klangstühlen. Mit diesem Schlüssel habe ich schon viele kirchennahe und -ferne Freunde zum Staunen gebracht, was mich wiederum zum Staunen gebracht hat.
Ich habe die Bewohnerinnen des Pflegheims Heiligkreuz kennengelernt: Frau M., die erst gerade eingezogen ist und noch nicht begreifen kann und will, dass sie nun im Heim wohnt. Frau L., die nichts mehr Essen will, weil für sie die Zeit zum Sterben gekommen ist. Nach der Jugendzeit in der Halden besuche ich nun betagte Menschen und lerne die Hochs und Tiefs des Alltags im Pflegheim kennen. Die erste Andacht im Heim, die ich vor ein paar Tagen selber gehalten habe, war eine grosse Herausforderung. Was kann ich als 30jährige Vikarin weitergeben, an Menschen die ungaublich reiche Lebensgeschichten zu berichten haben und sich gleichzeitig mit dem Ende ihres Lebens auseinandersetzen? Kann ich mich überhaupt ausreichend in ihre Lebenswelt hineinfühlen, um ihnen etwas für die kommenden Tagen mitzugeben?
Es ist gelungen. Wir haben Abendmahl gefeiert und über die Geschichte vom grossen Gastmahl nachgedacht, gesungen und gelacht. Es war feierlich in dem kleinen sterilen Raum, der dem grossen klingenden Kirchenraum in keiner Weise nachsteht. Die leicht überstrapazierte pfarrerliche Wendung "wir kommen alle vor Gott, so wie wir sind", kriegt im Pflegheim, zwischen alt und jung, wieder ihre ganz tiefe und wahre Bedeutung.
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