Samstag, 26. April 2014

Andrew schläft

Es ist 3 Uhr in der Früh. Ein eisiger Wind weht durch die Gassen Covent Gardens in dieser Osternacht. In der Swiss Church halten 12 Menschen zusammen eine Osterwache. Das gemeinsame Wachsein, Beten und Meditieren schweisst uns zusammen. Ich trete vor die Tür, um frische Luft zu schnappen.

Die Endell Street ist menschenleer. Ein leerer Nachtbus fährt die Shaftesbury Avenue hinunter. Das fällt mir der Mann auf. Nur ein paar Häuser weiter erscheint er aus einem Hauseingang - seine Bleibe für die Nacht. Es ist viel zu kalt, um draussen zu schlafen. Der Mann geht die Strasse rauf, kommt mir entgegen Richtung Kirche. In der Hand hat er eine Decke, mit der er wie aus Wut und mit lauten Schreien der Verzweiflung um sich schlägt. Er sieht mich erst, als er näher kommt. "Sorry, I didn't see you. Didn't want to scare you." Ich bitte den Mann herein, biete ihm Tee an. Er bedient sich von unserem Nacht-Buffet.

Andrew ist aus Simbabwe und lebt seit elf Monaten als politischer Flüchtling in London. Sein Asylgesuch wurde noch nicht bearbeitet. Er schläft draussen. "I thought I'm going to die this night - it's so cold. I can't believe you just appeared at the right moment!" Nach einer halben Stunde geht er wieder. Er muss in einem anderen Stadtteil seine Tasche aus dem Gebüsch holen.

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Es ist 6 Uhr in der Früh. Mit einem Osterfeuer im Garten der Nachbarkirche feiern wir die Auferstehung Christi. Das offene Feuer im Metallbehälter mitten in der Grossstadt. 

Um 7 Uhr ist Andrew zurück. Er setzt sich zu uns zum Frühstück, dann schläft er auf dem Stuhl ein. Ich rüttle ihn sanft an der Schulter und zeige ihm unser Matratzenlager im oberen Stock. Er legt sich hin.

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Um 10:30 feiern wir Ostergottesdienst mit über 60 Gemeindegliedern. Wein und Brot gehen uns fast aus. In der Mitte auf dem Boden das Ziegelsteinkreuz. Nach einer schlaflosen Nacht verhilft mir das Adrenalin  nochmals zu neuen Kräften und es wird einer der schönsten Gottesdienste in meinem ersten Amtsjahr. 

Nach dem Gottesdienst kommt eine Frau aus der Gemeinde zu mir: "Du, da oben liegt ein Mann." Andrew! Ich hatte ihn vergessen. Bis 14 Uhr lasse ich ihn schlafen, dann müssen wir die Kirche schliessen. Andrew zeigt mir die Narben auf seinem Kopf. Der schlechte Zugang zu sanitären Anlagen haben seine Haut zerfressen. Er muss sich unbedingt waschen und ausruhen. Ich wurde schon oft um Geld gebeten und gebe normalerweise kein Bargeld. Bei Andrew ist das irgendwie anders. Ich gebe ihm die £23, die er für die Übernachtung im YMCA Hostel braucht.

Andrew geht. Ich hoffe, dass er wieder einmal vorbeikommt. 

Christ is risen. Alleluja!

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