Freitag, 27. März 2015

Das ist doch alles gar nicht wahr!

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"Das Grab Jesu war nicht leer. Neuesten Forschungen zufolge haben Maria und Maria das falsche Grab aufgesucht. Archäologische Untersuchungen haben ergeben, dass sich das originale Steingrab Jesu circa 200 Meter entfernt von der Grabstelle befindet, die über 2000 Jahre lang als das Grab Jesu gegolten hat. Im originalen Grab wurden die Überreste eines verwesten Leichnams gefunden, der mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit derjenige Jesu ist. Es zeigen sich eindeutige genetische Übereinstimmungen mit dem einzigen legitimen Nachfolger des Mannes von Nazareth, dem Papst in Rom. Ein Irrtum kann deshalb quasi ausgeschlossen werden. Jesus ist nicht auferstanden. Diese Nachricht kommt als Schock für Millionen von Christen und Christinnen, deren zentraler Glaubensinhalt die physische Auferstehung Jesu Christi ist. Bedeutet dies das Ende des Christentums?"

Die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Auferstehung gehört zum Pfarralltag wie... ja wie was eigentlich? Kommt mir jetzt grad auch nichts in den Sinn. Es gibt in diesem Beruf eigentlich nicht wirklich einen 'Alltag'. Aber das nur nebenbei. Also: die Frage nach der Auferstehung gehört zum Pfarralltag. Full Stop. Gerade um Ostern herum wird sie natürlich besonders oft gestellt. Während sich das säkulare London auf vier arbeitsfreie Tage einstellt, die viele im Vollrausch verbringen, bereiten Christen und Christinnen sich vor, um ein Ereignis zu feiern, das jeglicher Logik und Rationalität entbehrt. Tote können nicht auferstehen. Dass Millionen von Menschen sich auch im 21. Jahrhundert noch mit dieser abstrusen Idee identifizieren, ist für viele verständlicherweise unverständlich. Und trotzdem halten so viele daran fest, dass da angeblich einer den Tod überwunden hat. Wie naiv und realitätsfremd!
 
Was wäre also, wenn sich eines Tages beweisen liesse, richtig wissenschaftlich beweisen liesse, dass Jesus nicht auferstanden ist, dass das Grab nicht leer war und dass das alles nur sehnsüchtiges Wunschdenken von Menschen ist, die mit dem Tod nicht klarkommen? Ja was wäre dann?
Wenn ich eines Tages diese Schlagzeile in der Zeitung lessen würde, dann würde sich bei mir eigentlich nichts verändern. Ich würde weiter glauben, hoffen, beten. Ich würde den Artikel zur Kenntnis nehmen und dann zur Seite legen und weitermachen. Nicht der Christus-Körper steht im Zentrum der Auferstehung, sondern die Erfahrung der Jünger und Jüngerinnen, die ihren toten Freund ganz real wieder gesehen haben. Trotz seines Todes war seine Präsenz so real erfahrbar, dass die Jünger und Jüngerinnen einfach weitergemacht haben. Sie haben weiterhin geglaubt, dass die Menschen am Rande der Gesellschaft Zentrum der göttlichen Schöpfung sind. Sie haben weiterhin geglaubt, dass Männer und Frauen gleichwertig sind. Sie haben weiterhin an Gerechtigkeit geglaubt, und an das Ausbrechen aus der Unterdrückung. Sie haben einfach weiter geglaubt, weil sie auf irgendeine Art und Weise die Präsenz des Gottessohnes nach seinem Tode erfahren haben. Wunder oder Wahnsinn? Wer weiss das schon!
Einfach weitermachen und weiterglauben, trotz aller Widerstände und Verzweiflung: genau das brauchen wir so dringend. Denn wer hat bei all der Brutalität und Sinnlosigkeit nicht schon ans Aufgeben gedacht! Das hat doch alles keinen Sinn. Die Menschen schlachten sich gegenseitig ab, foltern, morden, vergewaltigen, missbrauchen. Es wäre so einfach, nicht mehr ans Gute im Menschen zu glauben. Doch gerade angesichts des Todes und des Elends  müssen wir unbedingt trotzdem weitermachen und weiterglauben. Das können wir von den irrationalen Jünger und Jüngerinnen lernen. Einfach trotzdem weitermachen. Denn die reale Präsenz des Guten lässt sich in unserem Alltag immer wieder erfahren.
So einfach ist das also? Nein. So einfach ist das eben nicht. Die Jünger und Jüngerinnen, die das leere Grab und dann den auferstandenen Christus zuerst gesehen haben, haben es ja auch nicht geglaubt, haben gezweifelt und gerungen. Thomas musste erst ganz real die Wunden Jesu sehen, bevor er glauben konnte. Wie wir wollte auch er Beweise. Aber die gibt es nicht, oder zumindest nicht immer. Manchmal muss man ohne Beweise auskommen, um an das Gute und an das Leben zu glauben.
Würden die Überreste des Leichnams Jesu also gefunden werden, so what? Ich glaube weiter.
Frohe Ostern!




Freitag, 20. März 2015

Der Mann von der Strasse

Es ist zwei nach elf. Gerade greift der Organist zum ersten Akkord, als ich in der offenen Kirchentüre eine Gestalt erblicke. Der hagere Mann steht unsicher da und denkt sich wahrscheinlich: "Soll ich oder soll ich nicht?" Die schmutzigen Kleider hängen an seinem Körper. In seiner rechten Hand hält er eine Carlsberg Bierdose. Fast ein bisschen wie Jesus, minus die Bierdose. Ich gehe den Gang hinuter auf ihn zu und frage: "Do you want to join us for the service?" - "Yes" - "Come on in then, have a seat. You can leave your beer can on the coffee table and collect it after the service." Das macht er, und ich führe ihn zu den Stühlen. Er setzt sich neben Dorothea (Name geändert), eines unserer ältesten Kirchenmitglieder. Ob das nur gut kommt, denke ich mir noch, doch ich bin nun dran und lasse der Sache ihren Lauf. Ich begrüsse die Gemeinde und stelle dabei fest, dass sich Dorothea freundlich um den Mann kümmert, ihn begrüsst und unsere drei Liederbüchlein in die Hand drückt, die er sogleich sorgfältig studiert.

Der Gottesdienst beginnt mit einem stillen Gebet. In zwei Töpfen sind Domino-Steine, schwarze in einem, weisse im anderen. Wer will, kann nach vorne kommen und Steine auf ein Tuch legen: einen schwarzen für Dinge, die in der letzten Woche nicht so gut liefen, Frustrationen, Konflikte oder Enttäuschungen; einen weissen für die Dinge, die gut liefen und für die wir dankbar sind. Es kommt Bewegung in die Gemeinde und wir bringen Klage und Freude im stillen Gebet vor Gott. So auch der Mann von der Strasse. Er legt einen weissen und einen schwarzen Stein hin. Was er wohl erlebt hat? Dann geht er, statt an seinen Platz zurück, ins Foyer. Auf einen Schluck Bier.

Es ist Muttertag in England, und ich erzähle die Geschichte von den zwei ungleichen Müttern Hagar und Sara. Zur Einleitung rede ich vom Nomadenleben, und wie Abraham und Sara mit ihrem ganzen Haushalt von Ort zu Ort zogen. "Es gibt auch heute noch Menschen, die als Nomaden leben. Hat jemand ein Beispiel?" frage ich. Der Mann von der Strasse streckt auf und gibt eine Antwort. Ich verstehe ihn nicht. Keiner versteht ihn. Schliesslich gehe ich zu ihm hin, aber auch ganz nahe dran kann ich seine Worte nicht verstehen. Ich gehe zurück zum Mikrofon und sage: "Ja, auch Menschen hier in unserer Stadt sind Nomaden. Sie haben keinen festen Ort zum Leben und ziehen von Ort zu Ort." Der Mann von der Strasse nickt. Meine Intuition hat ins Schwarze getroffen. Dann steht er auf. Es ist wieder Zeit für einen Schluck Bier. Wieder zurück auf seinem Stuhl, hört er aufmerksam der Predigt zu, steht mittendrin nochmals auf und macht eine Runde durch die Kirche. Ruhig schaut er sich die alten Gedenktafeln an.

Während dem Orgel Zwischenspiel ist dann genug. Er steht auf, schnappt sich sein Bier und geht.

Am Nachmittag sage ich zu meinem Partner: "Als er rein kam und er sich neben Dorothea setzte, dachte ich nur: hoffentlich geht das gut und sie fühlt sich nicht gestört von ihm." Er erwidert: "Weisst du, ich denke wir unterschätzen oftmals die alten Menschen. Bei all dem, was die in ihrem Leben schon erfahren haben, braucht es wohl ein bisschen mehr, um sie aus der Fassung zu bringen." Sehr wahr. Dorothea hatte als Mädchen während der Bombardierung Londons im U-Bahn Schacht geschlafen. Da wird sie sich von einem Mann von der Strasse mit fleckigen Kleidern und einer Bierdose in der Hand ja wohl nicht aus dem Konzept bringen lassen. Hat sie ja auch nicht.