Ein prominenter Repräsentant der Kirche hat mir gegenüber einmal erläutert, dass die Männer eine aktiv-aggressive Sexualität haben, während die Frauen eher passiv sind, und deshalb der Mann manchmal einfach über die Frau herfallen muss, ob nun in der Ehe oder bei Prostituierten. Solche Meinungen sind salonfähig, bis in die höchsten Kirchenränge. Nicht salonfähig ist, solche Aussagen öffentlich zu machen, weil man sonst seinen Ruf riskiert und unter Umständen später Probleme auf dem (kirchlichen) Arbeitsmarkt kriegt. Das ist auch der Grund, weshalb ich besagtes Gespräch lange in mich hineingefressen habe. Freundinnen haben mir gesagt, ich solle einfach darüber hinweghören, obwohl es sich tief in mich eingebrannt hatte und mich an meinem Platz in der Kirche hat zweifeln lassen. So machen wir Frauen das, wir schweigen, und lassen allerhand sexistischer Aussagen über uns ergehen. Die meisten Aussagen werden vom dem, der sie äussert, nicht als sexistisch wahrgenommen, da sie ja salonfähig sind, und die Adressatin verbringt dann die nächsten Tage damit, den Vorfall zu vergessen, den Ekel abzuschütteln. Wenn ein älterer Herr, den ich noch nie zuvor gesehen habe, mir nach dem Weihnachtsgottesdienst die Hand schüttelt und sagt: "Na, dann geniessen Sie mal den Urlaub, junge Frau!", was soll ich denn da sagen? "Sie auch, alter Mann..."? Nein, ich schweige und lächle, ganz in meiner Rolle, wie das von einer Pfarrerin erwartet wird. Oder wenn ich mit dem Vater der Braut den Einzug bespreche und sage: "Ich zwinkere Ihnen dann zu, wenn Sie loslaufen können", und er erwidert: "Aber nicht, dass die Leute das noch falsch verstehen!" Auch dann verhalte ich mich professionell, obwohl ich innerlich die ganze Trauung damit beschäftigt bin, diesen verbalen Übergriff nicht an mich herankommen zu lassen. Ja, so geht das, herrgottnochmal. Und es reicht mir jetzt einfach mit dem Schweigen.
Seit den sexuellen Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht in Köln sollte endlich jeder und jede begriffen haben, dass sexistisches Verhalten gegenüber Frauen fester Bestandteil unserer Gesellschaft ist. Nur ist es halt einfacher, sich jetzt zu empören, weil sich das grad so schön mit dem Politikum Massenmigration verbinden lässt. Die Täter waren scheinbar Männer 'nordafrikanischer und arabischer Herkunft'. Das schüttet Wasser auf die Mühlen der RassistInnen und Rechtsradikalen und man kann sich von links nach rechts und wieder zurück ankeiffen. Klar, Menschen, die aus noch patriarchaleren Weltgegenden als der unseren kommen, müssen ihr Frauenbild justieren und sich mit neuen Geschlechterkategorien - und bildern auseinandersetzen, und das ist auch recht so. Aber wie ist das mit uns 'Einheimischen'? Nehmen wir die Gelegenheit wahr, und schauen gleich auch auf uns selber! Die drei oben genannten Beispiele aus meinem Alltag geben nur einen kleinen Eindruck, dass Sexismus gegen Frauen ein Phänomen ist, das alle Kulturkreise betrifft. Und auf diesem Phänomen basiert die Gewalt, wie sie in Köln zum Ausdruck kam, und jeden Tag wieder und wieder und wieder, ohne dass es je in die Medien kommt.
Auf BBC habe ich kürzlich eine Dokumentation mit dem Titel 'Men at War' gesehen. Es geht dabei nicht um die britischen Soldaten, die die Bomben über Syrien abwerfen. Es geht dabei um den Krieg gegen Frauen, ein Phänomen, das mir in diesem Grössenmass so bisher nicht bekannt war. Es gibt ein gut organisiertes Netzwerk westlicher und mehrheitlich weisser Männer, die Frauen regelrecht verabscheuen, den Feminismus als Angriff empfinden, und gegen strengere Vergewaltigungsgesetze kämpfen. "Nein heisst nein heisst nein bis es ja heisst", propagiert etwa Frauenfeind-Koryphäe Roosh V und relativiert damit Vergewaltigungen. Der Besuch seiner Website braucht Nerven. Auf Internetplattformen wird darüber ausgetauscht, wie man Frauen diszipliniert, wie man sie zum Sex 'überredet', wie man die Frau wieder los wird, nachdem man sie gefickt hat. Dieser Roosh V publiziert auch Bücher, die Frauen nach Nationalität auf ihre Brauchbarkeit für sexuelle Abenteuer unter die Lupe nehmen. Diese Bücher werden von tausenden gelesen. So geht das zu und her. In unserem zivilisierten Westen. Da dürfen im Rahmen der Meinungsfreiheit Sachen gesagt werden, die Frauen zu Sex-Objekten und Menschen zweiter Klasse degradieren. Die geheim gehaltenen Seminare sind gut besucht. Diese Männer finden, dass Frauen wieder in ihre hergebrachte Genderrolle der unterwürfigen Ehe- und Hausfrau gezwängt werden müssen, zum Wohl der Gesellschaft. Diese Männer kommen nicht aus Nordafrika oder aus arabischen Ländern. Diese Männer kommen aus den USA, England, Deutschland, Schweden und sind auch da aufgewachsen, seit Generationen schon verankert. Und es sind zehntausende.
Es scheint zum Beispiel auch okay zu sein, wenn ein Fussballspieler einer Frau aus Glaubensgründen vor laufender Kamera den Handschlag verwehrt. Man muss das halt vom kulturellen Hintergrund her verstehen, heisst es dann... Dieselbe Szene wäre ein Skandal (und natürlich zurecht), würde ein weisser Mann einem schwarzen Mann wegen seiner Hautfarbe dasselbe machen. Auch sexuelle Übergriffe am Münchner Oktoberfest sind nicht der Rede wert. Sexismus und Frauenhass, unterschwellig und offen, sind weit verbreitet, und die meisten Frauen können von ihrer alltäglichen Ohnmacht erzählen, von diesen kleinen einschneidenden Erlebnissen, die uns verunsichern. "Luxusproblem", heisst es dann. "Sieh dich doch nicht gleich in der Opferrolle", hört man. Und schweigt halt lieber. Kotzt sich bei der Freundin aus, die das versteht, aber schweigt in der Männerrunde, um nicht in Rechtfertigungszwang zu geraten. Die aktuelle Massenmigration und ihre möglichen Konsequenzen für das Zusammenleben der Geschlechter sollte im gegenwärtigen Diskurs auf jeden Fall auch reflektiert und angegangen werden. Aber das ganze geht viel, viel weiter. Wenn wir eine Chance haben wollen, die Gewalt gegen Frauen zu reduzieren, dann müssen wir überall hinschauen. Und alle in die Verantwortung nehmen.
Es beginnt mit täglichen Einschüchterungstaktiken, Bemerkungen und Verhaltensweisen. Oft Nebenschauplätze, unbewusst. Alltäglicher Sexismus halt. Manchmal wäre es mir lieber, einer würde mir eins ins Gesicht schlagen, statt mir im gesitteten Rahmen seine absurden Sexualtheorien oder Genderchlichés zu erläutern, die ich als verbale Gewalt empfinde. Dann könnte ich wenigstens sagen: He, er hat mir eins in die Fresse gehauen! Und dann die Einschüchterungen auf sozialen Medien: "Pass ein bisschen auf dich auf, das könnte dir beruflich schaden", wenn man sich mal über was ärgert. "Wenn du wüsstest, was in Männergehirnen vorgeht..." Oder der Klassiker: "Männer, die ihre tierischen sexuellen Triebe nicht zugeben, sind einfach nicht ehrlich." Dazu möchte ich mal klipp und klar eins sagen: ich lasse mir von niemandem, niemals, mein Vertrauen in meine männlichen Nächsten zerstören. Das sind hochanständige Menschen (die, die auf Frauen stehen ebenso wie die wo nicht). Ich werde ihre Anständigkeit gegenüber den Einschüchterern immer verteidigen. Immer! Mein Vertrauen lasse ich mir nicht zerstören. Die Norm sind für mich die Anständigen, die Respektvollen. Klar, die allermeisten Menschen sind sexuelle Wesen, und das spiegelt sich in allen Köpfen wieder, in den männliche, den weiblichen, den transgender, je nach Mensch mehr oder weniger. Im Rechtfertigungszwang müssten eigentlich diejenigen sein, die ihre Triebe und Phantasien schlecht im Griff haben und auf Kosten anderer ausleben müssen, und nicht diejenigen, die einen gesitteten Umgang damit haben. Warum aber ist es in Realität oft andersrum? Warum müssen sich eigentlich immer die Anständigen verteidigen?
Es ist doch eigentlich absurd, dass man so herabgewürdigt wird, nur weil man per Zufall zu den Menschen gehört, die mit Brüsten geboren wurden. Was ist denn da bitte der Zusammenhang? Ich bin biologisch gesehen eine Frau, ja, und ich bin gerne eine Frau. Ich fühle mich in meinem Körper meist pudelwohl. Gleichzeitig kann ich mit vielen Aspekten des kulturellen Geschlechts 'Frau' herzlich wenig anfangen. Zum Beispiel mit der Erwartung, dass ich mich für meine Hochzeit in ein weisses Prinzessinnenkleid zwängen soll, und weil ich das nicht tue, lustig gemeinte Aussagen hinnehmen musste wie: "It's an anti-wedding!" oder "You always do things different." Ich kann darüber nicht lachen. Die Anständigen nehmen mich ernst. Die anderen nennen mich humorlos und klopfen sich auf den Schenkel vor Lachen. Ich habe auch nicht den brennenden Wunsch, Mutter zu sein, obwohl ich es auch nicht ausschliessen will und Kinder sehr gerne mag. "Du unterdrückst deinen natürlichen Instinkt", heisst es dann, oder "das kommt schon noch". Ich trage lieber Hosen als Rock, bin eine recht solide Biertrinkerin, und sage Bescheid, wenn mir was nicht passt. Das Modell Sexuell-aggressiver-Mann und Sexuell-passive-Frau deckt sich nicht mit meinem Erfahrungsschatz. Ich habe eigentlich sowieso die Nase gestrichen voll, über mein biologisches Geschlecht definiert zu werden und im professionellen Rahmen immer erst mal als 'junge Frau' behandelt zu werden. Ich bin Carla, capisci?
Wir sollten uns endlich aus dieser Spirale der Unterteilung der Menschheit in zwei Geschlechter befreien. Weg mit den blauen und rosa Karten, Schluss mit der Geschlechterfestlegung, sobald ein neues Menschlein geschlüpft ist, worauf gleich die geschlechterspezifische Sozialisierung anfängt. Wir sollten uns einfach alle als Kreuz und Queer definieren, denn nebst dem kleinen Unterschied, dass die einen Menschen ihren Samen beisteuern, um ein neues Menschlein zu produzieren, und die anderen Menschen diese neuen Menschlein in ihrem Körper austragen und zur Welt bringen, gibt es doch eigentlich gar nicht so viele Unterschiede. Wir machen die Unterschiede. Wir können sein, wer wir sind, wenn wir es einander nur zugestehen. In so einer Welt stünden am Kölner Hauptbahnhof dann nicht mehr 1000 Männer und 1000 Frauen, sondern 2000 Menschen. Die Geschlechterautomatismen würden sich langsam auflösen. Ich bin überzeugt: wir können alle lernen, zuerst den Mensch zu sehen, und das kleine Detail mit den Geschlechtsmerkmalen erstmal unter ferner liefen abzuspeichern. Die Anständigen können das ja auch. Was nicht heisst, dass wir unseren Sexualtrieb unterdrücken müssen! Es ist immer ein Geschenk, wenn sich zwei Menschen auf dieser Ebene finden.
Schon Paulus hat gewusst: im Gottesreich ist weder Christ noch Jude, weder Mann noch Frau, weder Sklave noch Herr. Wir sind alle eins in Jesus. (Brief an die Galater 3:28) An Weihnachten predigen wir, dass Gott Mensch geworden ist, nicht Mann zuerst, sondern Mensch. Ja, Gott ist in einem männlichen Körper erschienen, soweit wir das von den biblischen Quellen erfahren. Aber die Sexualität steht dabei gar nicht im Vordergrund. Möglich, dass Jesus mit Maria Magdalena eine romantische Beziehung hatte, wie das viele gerne glauben wollen. Oder mit seinem Lieblingsjünger Johannes. Wahrscheinlicher aber noch war Sexualität gar nicht so wichtig in seinem Leben. Er war durch und durch Mensch, mit männlichen Geschlechtsmerkmalen, hat sich für das Menschsein eingesetzt und hat das Angesicht Gottes in jedem Menschen gesehen. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir uns von der Geschlechtlichkeit Gottes lösen.
Wir können gegen Gewalt gegen Frauen angehen, wenn wir das Problem bei der Wurzel packen. Wenn wir nicht warten bis einer zuschlägt oder vergewaltigt, sondern den alltäglichen Sexismus in all seinen Varianten wahrnehmen und ernst nehmen. Indem wir auf die anständigen Männer hören, und für sie einstehen. Indem wir den Frauen zuhören und die kleinen alltäglichen Ohnmachtserfahrungen ernst nehmen. Indem wir endlich den Mund aufmachen und uns nicht mehr einschüchtern lassen von den vielen "das könnte dir schaden" und den "du bist doch kein Opfer" Bemerkungen. Indem wir von uns selber als Kreuz und Queer statt als Mann oder Frau denken, individuell und wunderschön gemacht nach dem Bild Gottes. Wenn wir schweigen, machen wir uns mitschuldig. Deshalb lasst uns mutig sein und aufbrechen und endlich Mensch werden.
Wie wahr! Danke für diese klare Aussage.
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