Ich beschreibe ja gerne Szenen aus dem Alltag. Hier ist eine aus der U-Bahn:
Auf dem Weg zur Arbeit, der mich jeden Tag in die Tiefen des verschlungenen Londoner U-Bahn Systems nach Covent Garden fuehrt, sassen heute zwei junge Touristinnen neben mir. Die eine Frau benutzte ihre Smartphone-Kamera, um ihre Lippen mit einem scheinbar neuen pinken Lippgloss zu bemalen. Sie hielt ihn ihrer Freundin mehrmals zum Beschnuppern hin. Gegenueber sassen drei nur wenig aeltere Kopftuchtraegerinnen, wahrscheinlich ebenfalls Touristinnen oder Austauschstudentinnen, die sich sichtbar ueber das oeffentliche Schminken unterhielten - leider in einer mir unbekannten Sprache. Des Weiteren sass da eine mittelalte Kopftuchtraegerin mit sehr traurigen Augen, wahrscheinlich auf dem Weg zur Arbeit.
Am Russell Square stieg ein Handorgelspieler zu, eine kleine leere Pringle's Dose ans Instrument geklebt, um Almosen fuer seine musikalische Einlage zu sammeln. Ich war als erste dran, und wie immer war ich hin- und hergeworfen zwischen meinem Herzensinstinkt, den jungen Mann zu unterstuetzen, und meiner Ratio, die mir sagt, dass ich damit die missstaendlichen Strukturen, die halb oder ganz illegale Lebenslagen erst hervorbringen, indirekt unterstuetze. Ich habe mich fuer die Ratio entschieden.
Alle vier Frauen mit Kopftuch haben grosszuegig in die Pringle's Dose geworfen. Alle Nicht-Kopftuchtraegerinnen haben den Kopf geschuettelt und die Augen gesenkt (wohl mehrheitlich nicht aus innerer Zerrissenheit). Diese kleine Alltagsszene hat mir wieder einmal bewusst gemacht, wie gross die kulturellen Unterschiede im Mikrokosmos U-Bahn, Abbild unserer Gesellschaft, sind.
Ich weiss noch immer nicht, was die richtige Entscheidung ist ---
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