Freitag, 10. Januar 2014

You don't have to be an Atheist to worship here, but it helps.

Fashion, Musik, Kunst... ueberall setzt London Trends und die Menschen stroemen in Massen in die britische Hauptstadt, um sich einer modischen Generalueberholung zu unterziehen (die dann in heimischen Gefilden meist wieder ganz hinten im Kleiderschrank oder CD-Gestell verschwindet).

Doch nicht nur in saekularen, sondern auch in religioesen Belangen setzt London Trends. Der neuste Trend, nebst den bald schon gestrigen 'Fresh Expressions', ist die Auslotung der Grauzone zwischen saekular und sakral. Waehrend Kirchenmenschen ueberall in Europa ueber die Chancen und Grenzen der Entsakralisierung der Gesellschaft und moegliche Handlungsspielraeume diskutieren, Konferenzen abhalten und Buecher drucken, findet in London eine leise Revolution statt. Wir wissen mittlerweile alle, dass unsere entkirchlichte Generation ein grosses Sehnen nach Spiritualitaet und Gemeinschaft hat, dass die liturgische Sprache und die kirchliche Institution diese Beduerfnisse jedoch oft nicht abdecken koennen, da sie einfach zu fremd und zu hierarchisch besetzt sind. Spiritualitaet ohne 'JHWH', oder "Religion fuer Atheisten" - wie Alain de Bottom das nennt - entwickelt sich zu einer lebendigen Bewegung.

"You don't have to be an Atheist to worship her, but it helps."

So heisst der Slogan der 'Sunday Assembly', eine Sonntagsgemeinschaft gegruendet von zwei Schauspielern 'to give non-believers something fun to do'. Sie singen leichtherzige Lieder wie 'I need a hero', klatschen in die Haende und erinnern in vielem an evangelikale Gottesdienstformen - nur ohne Kreuz, ohne Trinitaet, ohne Abendmahl und ohne Bibelbezug.

Die aeusserlichen Aehnlichkeiten zum evangelikalen Gottesdienst sind so frappant, dass sich der Autor eines Artikel im Ausgehmagazin TimeOut fragt, ob die Sunday Assemblies nicht eine Verarschung derselben seien. (Woertlich: "... you wonder if it's a pisstake.") Doch die Gruendervaeter (ja, Vaeter) sind sich einig: religioese Menschen haben meistens Verstaendnis fuer ihre Form von 'Nichtgottesdienst'. Probleme haben sie mit fundamentalistischen Atheisten, die kritisieren, dass ihre Art nicht an Gott zu glauben nicht richtig sei. ("They say the way we don't believe in God is not the right way to not believe in God.")

Alain de Bottom ist kein Fan der Sunday Assembly. Er bezeichnet die Bewegung schlichtwegs als Abzockerei. Der Autor besagten Artikels wuerde sich als geborener Pole eher einen Ersatzgottesdienst in Anlehnung an den roemisch-katholischen Gottesdienst seiner Kindheit wuenschen - sein erster Besuch bei der Sunday Assembly war wohl auch sein letzter.

Dem haelt ein Priester der anglikanischen Kirche entgegen, dass der Hunger nach Gemeinschaft in einer individualisierten Gesellschaft sehr ernst genommen werden soll:  "The Sunday Assembly is catering for this hunger."

Und was zieht 200-300 Menschen jeden Sonntag in die Sunday Assmebly, die am schnellsten wachsende 'religioese' Bewegung in der britischen Hauptstadt? Ein Mann erklaert, er habe sich nach einem traditionellen Christmas Carol Service  gefragt:"How cool would it be if the centre of this there was something I did believe in and not something I didn't?"

Und was denkt die Autorin dieses Blogs? Ich habe grundsaetzlich nichts gegen experimentelle Formen gemeinschaftlichen Zusammenseins, die sich an kirchlichen Werten ausrichten - ja, ich finde alle Art sakralen Experimentierens hervorragend. Meine Kritik: Eine humanistische oder religioese Wertegemeinschaft, ganz egal wie sie sich nennt, ist nicht einfach etwas 'fun to do', sondern muss weitreichende Konsequenzen fuer das Denken und Handeln der Menschen haben. Meine Selbstkritik: Die Popularitaet dieser Bewegung weist auf ein Problem in unseren Kirchen hin: dass es uns an Mut oder Kreativitaet mangelt, entkirchlichten Menschen den Zugang zur kirchlichen Sprache zu ermoeglichen. 'Sprache' umfasst nicht nur das geschriebene oder gesprochene Wort, sondern vor allem auch das Nicht-Wort, die Stille, Symbole und Bilder, Musik und Gemeinschaftserfahrung, die uns zum Mysterium des Glaubens hinfuehren - zu dem, wonach es uns sehnt und wonach wir suchen: das Goettliche, das Unaussprechbare, das Ziel unserer Sehnsucht, 'JHWH'.

Es ist erstaunlich, wie anziehend eine kerzenlichtdurchflutete Kirche mit offenen Tueren und einem warm-zurueckhaltenden Empfang auf die Menschen wirkt. Meine Erfahrungen in der Swiss Church in London lassen mich sogar Fragezeichen hinter das neue kirchliche Dogma setzen, dass es nur darum gehe, als Kirche zu den Menschen zu gehen, statt die Menschen zur Kirche kommen zu lassen. Vielleicht ist dieses Dogma eben auch nur die halbe Wahrheit. Denn ploetzlich fragen die BesucherInnen, was es eigentlich mit dieser Trinitaetsikone auf dem Informationsblatt und mit dem Kreuz vorne an der Wand ueber diesem Tisch auf sich hat.

Donnerstag, 2. Januar 2014

Adevnt in der Swiss Church



Ich habe einen Neujahrvorsatz: oefters bloggen. Bereits wird der Baumschmuck wieder in den Keller verstaut, und die Krippenfiguren gehen auch wieder in Sommerschlaf. Wie ging die Zeit bloss so schnell vorbei?

Der Dezember in der Swiss Church war ereignisreich und besinnlich. Jeden Adventsdonnerstag boten wir den PassantInnen und Freunde der Kirche eine Stunde 'Sit in Silence'. Die Steine der Klagemauer, die ich bereits fuer den Gottesdienst an Allerheiligen benutzt hatte und die urspruenglich von einer Kunstausstellung stammen, bildeten ein kleines Mauerlabyrinth. In der Eingangshalle wurden Tee und Kaffee ausgeschenkt, waehrend der kerzenlichtdurchflutete Kirchenraum zum Raum der Stille wurde - Kloster in der Grossstadt. Die Kerzen auf den Treppenstufen und die warme Atmosphaere zogen viele Leute von der Strasse an, die sich in Gebet und Meditation vertieften und von der stillen Stunde profitierten.



Doch auch Musik erfuellte die Kirche oft waehrend der Adventszeit. Zum ersten Advent hielt ich eine Dialogpredigt zusammen mit einer Sopranistin und liess mich von ihrer Musikwahl zum Predigen inspirieren. "When Elisabeth heard Mary's greeting..." war das Thema der Predigt.

Am zweiten Advent hatten wir einen Christmas Carol Service - eine ganz wichtige Tradition in England. Auf allen Plaetzen, in allen Konzerthallen und Kirchen ertoenen in der Weihnachtszeit die traditionellen Weihnachtslieder. Zu diesem Anlass besuchte uns der Chor Dieci Voices. Anschliessend gab es Gluehwein und Mince Pies.

Der Familienggottesdienst fand am dritten Advent statt, und die Kirche war voller Menschen, jung und alt, die ihre Wuensche an den Christbaum hingen, der Krippengeschichte lauschten, ja sogar 'Das isch de Stern vu Bethlehem' sangen - und sich am Licht der 'Christingles' (Orangen mit einem roten Band, einer Kerze und aufgesteckten Suessigkeiten) freuten. Der Samichlaus kam zwar nicht, trotzdem konnten die Kinder ein Geschenk unter dem Tannenbau abholen.
 


An Heiligabend gab es einen fruehabendlichen informellen Weihnachtsgottesdienst mit der Lesung der drei Geburtsgeschichten aus Lukas, Matthaeus und Johannes. Danach ging's ab ins Pub im fast leeren Covent Garden - in England ist der Hauptweihnachtstag naemlich der 25. Dezember.