Fashion, Musik, Kunst... ueberall setzt London Trends und die Menschen stroemen in Massen in die britische Hauptstadt, um sich einer modischen Generalueberholung zu unterziehen (die dann in heimischen Gefilden meist wieder ganz hinten im Kleiderschrank oder CD-Gestell verschwindet).
Doch nicht nur in saekularen, sondern auch in religioesen Belangen setzt London Trends. Der neuste Trend, nebst den bald schon gestrigen 'Fresh Expressions', ist die Auslotung der Grauzone zwischen saekular und sakral. Waehrend Kirchenmenschen ueberall in Europa ueber die Chancen und Grenzen der Entsakralisierung der Gesellschaft und moegliche Handlungsspielraeume diskutieren, Konferenzen abhalten und Buecher drucken, findet in London eine leise Revolution statt. Wir wissen mittlerweile alle, dass unsere entkirchlichte Generation ein grosses Sehnen nach Spiritualitaet und Gemeinschaft hat, dass die liturgische Sprache und die kirchliche Institution diese Beduerfnisse jedoch oft nicht abdecken koennen, da sie einfach zu fremd und zu hierarchisch besetzt sind. Spiritualitaet ohne 'JHWH', oder "Religion fuer Atheisten" - wie Alain de Bottom das nennt - entwickelt sich zu einer lebendigen Bewegung.
"You don't have to be an Atheist to worship her, but it helps."
So heisst der Slogan der 'Sunday Assembly', eine Sonntagsgemeinschaft gegruendet von zwei Schauspielern 'to give non-believers something fun to do'. Sie singen leichtherzige Lieder wie 'I need a hero', klatschen in die Haende und erinnern in vielem an evangelikale Gottesdienstformen - nur ohne Kreuz, ohne Trinitaet, ohne Abendmahl und ohne Bibelbezug.
Die aeusserlichen Aehnlichkeiten zum evangelikalen Gottesdienst sind so frappant, dass sich der Autor eines Artikel im Ausgehmagazin TimeOut fragt, ob die Sunday Assemblies nicht eine Verarschung derselben seien. (Woertlich: "... you wonder if it's a pisstake.") Doch die Gruendervaeter (ja, Vaeter) sind sich einig: religioese Menschen haben meistens Verstaendnis fuer ihre Form von 'Nichtgottesdienst'. Probleme haben sie mit fundamentalistischen Atheisten, die kritisieren, dass ihre Art nicht an Gott zu glauben nicht richtig sei. ("They say the way we don't believe in God is not the right way to not believe in God.")
Alain de Bottom ist kein Fan der Sunday Assembly. Er bezeichnet die Bewegung schlichtwegs als Abzockerei. Der Autor besagten Artikels wuerde sich als geborener Pole eher einen Ersatzgottesdienst in Anlehnung an den roemisch-katholischen Gottesdienst seiner Kindheit wuenschen - sein erster Besuch bei der Sunday Assembly war wohl auch sein letzter.
Dem haelt ein Priester der anglikanischen Kirche entgegen, dass der Hunger nach Gemeinschaft in einer individualisierten Gesellschaft sehr ernst genommen werden soll: "The Sunday Assembly is catering for this hunger."
Und was zieht 200-300 Menschen jeden Sonntag in die Sunday Assmebly, die am schnellsten wachsende 'religioese' Bewegung in der britischen Hauptstadt? Ein Mann erklaert, er habe sich nach einem traditionellen Christmas Carol Service gefragt:"How cool would it be if the centre of this there was something I did believe in and not something I didn't?"
Und was denkt die Autorin dieses Blogs? Ich habe grundsaetzlich nichts gegen experimentelle Formen gemeinschaftlichen Zusammenseins, die sich an kirchlichen Werten ausrichten - ja, ich finde alle Art sakralen Experimentierens hervorragend. Meine Kritik: Eine humanistische oder religioese Wertegemeinschaft, ganz egal wie sie sich nennt, ist nicht einfach etwas 'fun to do', sondern muss weitreichende Konsequenzen fuer das Denken und Handeln der Menschen haben. Meine Selbstkritik: Die Popularitaet dieser Bewegung weist auf ein Problem in unseren Kirchen hin: dass es uns an Mut oder Kreativitaet mangelt, entkirchlichten Menschen den Zugang zur kirchlichen Sprache zu ermoeglichen. 'Sprache' umfasst nicht nur das geschriebene oder gesprochene Wort, sondern vor allem auch das Nicht-Wort, die Stille, Symbole und Bilder, Musik und Gemeinschaftserfahrung, die uns zum Mysterium des Glaubens hinfuehren - zu dem, wonach es uns sehnt und wonach wir suchen: das Goettliche, das Unaussprechbare, das Ziel unserer Sehnsucht, 'JHWH'.
Es ist erstaunlich, wie anziehend eine kerzenlichtdurchflutete Kirche mit offenen Tueren und einem warm-zurueckhaltenden Empfang auf die Menschen wirkt. Meine Erfahrungen in der Swiss Church in London lassen mich sogar Fragezeichen hinter das neue kirchliche Dogma setzen, dass es nur darum gehe, als Kirche zu den Menschen zu gehen, statt die Menschen zur Kirche kommen zu lassen. Vielleicht ist dieses Dogma eben auch nur die halbe Wahrheit. Denn ploetzlich fragen die BesucherInnen, was es eigentlich mit dieser Trinitaetsikone auf dem Informationsblatt und mit dem Kreuz vorne an der Wand ueber diesem Tisch auf sich hat.
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