Samstag, 4. Februar 2012

Im falschen Film

Samstagabend.

Nach einer weiteren intensiven Studienwoche auf dem kirchlichen Hochsitz Boldern über dem Zürichsee scheint mir das Versinken im Kinosessel die richtige Freizeitoption. Man wird nicht gesehen, braucht nicht zu reden und kann sich der Passivität voll und ganz hingeben. In die Welt des Films entfliehen...

Der Blick ins Kinoprogramm ist reizvoll. Im Vergleich zu anderen Wochen flimmern gleich mehrere sehenswerte Filme über die Leinwand. Wichtigstes Auswahlkriterium für heute: leicht, luftig, ein Hauch von Hollywood, ein bisschen Romanze, ein paar Tränen und zum Schluss ein fulminantes Wohlfühlende. Die Seelsorgewoche auf Boldern hatte nämlich mit einigen heftigen Themen aufgewartet: zum Beispiel Seelsorge am Sterbebett und bei Hinterbliebenen. Nach der schonungslosen Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit und der Rolle als Pfarrerin am Ende eines Lebens schien mir George Clooney gerade der richtige Zeitgenosse, um das Gedankenrad zum stehen zu bringen und die heiteren Seiten des Lebens zurück ins Bewusstsein zu holen.

George Clooney - in erster Linie professioneller Nespressotrinker und Dauerbeau. Unglücklicherweise schien meine Erinnerung nicht so weit zurück zu reichen, dass der umschwärmte Hollywoodstar eben nicht nur einfach schön aussieht, sondern sehr oft kritische und aufwühlende Rollen verkörpert, die, wenn auch oft mit einer grosszügigen Portion Ironie, gar nicht so leicht daherkommen wie die Lektüre über das Privatleben des Schauspielers in der Gala. George Clooney in einem oscarnominierten Film, das ist der ultimative Abschaltfilm - dachte ich mir. Ich hatte noch "Up in the Air" im Kopf, eine wahrlich leichte Liebeskomödie an den Flughäfen der Welt.

Hätte ich vorher die Zusammenfassung des Films "The Descendants" gelesen, hätte ich geahnt, dass der Film nichts anderes ist, als eine Fortsetzung der Seesorgewoche auf Boldern: eine Frau auf dem Sterbebett, umgeben von der sich streitenden und versöhnenden Familie, die sich in der ausweglosen Situation irgendwie ihren Weg sucht - manchmal recht, manchmal schlecht. "The Descendants" - ein gehaltvoller und unglaublich stark gespielter Film. Aus Perspektive der Vikarin jedoch eine Verlängerung der bisher emotionalsten und dichtesten Seelsorgewoche. Immer wieder habe ich mich beim Gedanken ertappt, wie ich auf diese oder jene Situation reagieren würde, habe das inszenierte Familiensystem analysiert und mich gefragt, welche Rolle die einzelnen Charaktere in diesem Beziehungsnetz spielen.

Die Seelsorgewoche hat mir bestimmt eine ganz eigene Perspektive auf den Film eröffnet. Aber eigentlich wollte ich doch nur im Kinosessel versinken und die Sterblichkeit ganz und gar vergessen...

Lesson learnt: als Vikarin das Kinoprogramm ganz genau studieren!

1 Kommentar:

  1. Also wenn ich das so lese, rollen da die Rollen mit der Identität um die Wette: Carla in der Seelsorgewoche und die Vikarin im Kino (hätte es nicht umgekehrt sein sollen)? Anderseits: Wenn Carla nicht in der Seelsorgewoche gewesen wäre und die Vikarin beim Kino zu Hause geblieben, wäre dies auch sehr partiell geworden. Da lob ich mir die heilige Dreieinigkeit: alles ist EINES - auch wenn es hier nur zwei sind. Ach so:Nur im Kinosessel versinken ... Lesson learnt!
    Grüessli Christoph

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