Dienstag, 31. Januar 2012

Von der Wiege bis zur Bahre: Ja, ich will!

Vikar R. und Vikarin G. stehen sich gegenüber, Hand in Hand, vor dem Altar. Auf die Frage von Vikarin B., ob sie sich treu sein wollen, und in guten wie in schlechten Zeiten zueinander stehen, antwortet Vikarin G. zögerlich mit "Ja, ich will". Vikar R. setzt etwas beherzter an. Er kennt das schon von seiner richtigen Hochzeit. Die zwanzig Vikare und Vikarinnen in den Kirchenbänken grinsen, zaghaft verlegen, fast ein bisschen gerührt. Auf den rituellen Hollywood-Kuss warten wir jedoch vergebens. Die Übung wird hier abgebrochen. Die Runde ist offen für Feedback an Vikarin B.

Vikar R. und Vikarin G. sind das Probepaar. Am unechten Bräutigam und der unechten Braut übt der Vikariatskurs 2011/2012 in der Kirche Bruggen bei St.Gallen das Vermählen. Wohin setzt sich das Brautpaar und zu welchem Zeitpunkt? In welche Richtung blickt das Paar? Einander an oder zur Pfarrerin? Wann kommt Gebet, Segen, Eheversprechen und in welcher Reihenfolge? Soll man die Hände des Paars zum Segnen berühren oder ist das aufdringlich? Wird das Eheversprechen mit 'bis dass der Tod euch scheidet' oder ohne vorgelesen? Vikar L. findet heraus, dass die Wendung in den von der Pfarrschaft benutzten Liturgiebänden nicht mehr vorkommt. Es ist ja auch gar nicht mehr so zeitgemäss, gar realitätsfern, ausser wenn man den Tod nicht nur als das Ende des irdischen Lebens interpretiert, sondern auch als destruktive Macht in einer Beziehung, die eine Ehe vor dem endgültigen Ableben der Eheleute beenden kann. Dieses Hilfskonstrukt ist aber höchstens für eine Trauung von TheologInnen empfehlenswert...

Wobei wir bereits beim nächsten Studientag angelangt wären: Nach der Eheschliessung wird das Beerdigen geübt. Mit einem gewissen Galgenhumor stellen sich die angehenden Pfarrpersonen dieser existentiellen Aufgabe. Bei einem Spaziergang über den Friedhof lassen wir uns von den Gräbern zu Abdankungspredigten inspirieren, die wir später gegenseitig kommentieren und austauschen. In Kleingruppen tragen wir Grabreden vor und überlegen uns, worauf beim Senken der Urne oder des Sarges zu achten ist. Jeder Schritt, jedes Wort soll genau geplant sein, damit die Angehörigen sich sicher und geleitet fühlen. Beim Beerdigen gibt es keinen Probelauf.

Last but not least trainieren die Vikare und Vikarinnen an Bäbis das Taufen. Welche Aufgabe kommt beim Taufen den Grosseltern, den Paten, den Geschwistern zu? Mit wievielen Fingern wird das Wasser auf die Strin aufgetragen? Kann auch ganz traditionell Wasser mit der hohlen Hand über die Stirn geschüttet werden? Wird die Taufkerze vor oder nach dem Taufakt angezündet? Wie wird mit gottesdienstlichen Sonderwünschen der Tauffamilie umgegangen?

Ja, wie wird eigentlich mit den ganzen Sonderwünschen bei Kasualien (so werden die kirchlichen Rituale an wichtigen Lebensübergängen genannt) umgegangen? Kasualien sind PR für die Kirchen - so sehen das die einen. Kasualien sind immer auch Seelsorge - denken andere. Kasualien sind Verkündigung und werden manchmal unter Druck von Verwandten abgehalten - ein Dilemma. Die Hochzeit soll einen Hauch von Hollywood umgeben (Kate und William lassen grüssen). Bei der Taufe soll für die Taufeltern das Kind ganz besonders im Zentrum stehen, während die Pfarrperson der ganzen Sonntagsgemeinde gerecht werden will. Bei Beerdigungen treffen umwälzende Lebenskrisen und tiefe Trauer auf den oftmals unberechenbaren und chaotischen Berufsalltags der Pfarrerin. Und was, wenn die Pfarrperson selber von Gefühle der Anteilnahme überwältigt wird?

In Gesprächen stelle ich oft fest, dass die Menschen an sich selber viel höhere Ansprüche stellen als ich selber in der Rolle als Pfarrerin. Was ich vom Brautpaar oder von den Taufeltern erwarte sind Neugier und Ehrfurcht vor dem Leben und eine gewisse Kompromissbereitschaft bezüglich der Kasualfeier. Ich erwarte kein Glaubensbekenntnis, keinen Gottesbeweis, keine Aufzeichnung über den regelmässigen Gottesdienstbesuch und keine genauen Bibelkenntnisse. Menschlichkeit, Ehrlichkeit und das Vermögen, sich auf das Neue, Andere einzulassen, das finde ich schon sehr viel. Eine gewisse Offenheit für das Unverfügbare im Leben, das möchte ich spüren, damit ich gerne eine Kasualfeier gestalte. Darauf kann man gemeinsam bauen. Ich mag die Menschen, und ich will, dass sie sich an ihren wichtigen Tagen begleitet und geleitet fühlen, dass sie ihre Gefühle zum Ausdruck bringen können und sich in ihren Anliegen ernst genommen fühlen. Wenn die Offenheit gegenseitig ist, dann helfe ich auch gerne, dem Tag ein bisschen Hollywood zu verleihen!

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