Paul verliert sein Augenlicht. Der Mann, der in den 1960er Jahren dem Kommunismus in seiner tschechischen Heimat über Belgien nach England entflohen ist und viele Jahrzehnte im internationalen Bankenwesen tätig war, sieht nur noch verschwommen. Eine grosse Lupe, die er stets auf sich trägt, hilft ihm durch den Alltag. Wenn er sehbehinderte oder blinde Menschen mit Taststöcken erahnt, fühlt er sich von seiner eigenen Zukunft bedrängt - er kriegt es mit der Angst zu tun. Die Angst vor vollkommener Dunkelheit. Als es angefangen hatte, damals vor zehn Jahren, hatten sie ihm gesagt, dass man in sieben Jahren eine Stammzellentherapie für sein Leiden entwickelt haben würde. Jetzt sagen sie, das dauere noch weitere zwanzig Jahre. Schon zehn Operationen hat er hinter sich: sechs am rechten und vier am linken Auge. Erst kürzlich musste Paul notfallmässig ins Krankenhaus eingeliefert werden. Er verlor beim Gartenpflegen das Gleichgewicht und verletzte sich am Kopf.
Ich bin zum Routinecheck im Moorfields Eye Hospital, die weltweit führende Augenklinik. Man kann ja über die NHS sagen, was man will, aber behandelt und untersucht werden hier alle, wirklich alle, auf allerhöchstem Niveau. Ebenfalls im Wartesaal sitzt ein Mann in abgewetzten Kleidern. In seiner Plastiktüte trägt er so dies und das mit sich - vielleicht seine ganze Habe.
Der schwarze Punkt mit leichtem Schleier in meinem Blickfeld stellt sich als eine kleine Narbe in einer tiefen Schicht meiner linken Retina heraus. Kein Grund zur Sorge. Nach drei Stunden im Eye Hospital kann ich die Klinik beschwingt und beruhigt verlassen. Der kleine Punkt beim Blick auf eine weisse Wand oder in den blauen Sommerhimmel gehört nun halt zu meinem Leben.
In der U-Bahn sehe ich von weitem Paul. Er tastet sich in die U-Bahn hinein, weiss kaum, wo er den Fuss hinstellen soll. Dann lässt er sich mit viel Mühe in einen Sitz fallen. Er sieht wirklich fast nichts mehr, aber es fällt ihm schwer, das zu glauben. Ich hoffe, dass Paul sich in der Dunkelheit, die ihn wohl bald einholen wird, nicht verliert. Ich hoffe, dass er in seiner Angst tröstende Momente erfährt. Ich wünsche ihm Kraft und Wärme und Gottes Segen.
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