Donnerstag, 11. August 2011

Von langen Abenden und grossen Fragen

Das evangelische Tagungs- und Bildungszentrum Boldern liegt hoch über dem Zürichsee bei Männedorf. Hier an der Zürcher Goldküste ist die Welt noch in Ordnung. Die Ziegen fressen geduldig ihr Gras. Bis auf ein paar bellende Hunde und knatternde Motore stört nichts die Stille. Das Wetter ändert sich im Minutentakt über dem tiefblauen See, auf dem vereinzelte Segelboote und Schiffe diskret ihre Wellen ziehen. Die heftigen Regenschauer haben so gar nichts Hochsommerliches an sich. Erst gegen Ende der Woche macht sich die Sonne bemerkbar. Abends glühen die Glarner Alpen unverschämt rosarot, bevor sich die Nacht über den See legt und das Lichtermeer der gegenüberliegenden Seeseite frei gibt. Ich habe gehört, dass die Pfarrämter an der Goldküste die grössten Bewerbungsfluten bewältigen müssen.

Hier auf Boldern beginnt das Lernvikariat, das aus fünfundzwanzig Theologen und Theologinnen Pfarrpersonen der reformierten Schweizer Landeskirchen machen soll. Die Ausbildung dauert ein Jahr. Im behüteten Rahmen werden wir während dreier Wochen in die Kunst des Unterrichtens und Gottesdienst haltens eingeführt, um die Theorien zwei Wochen später in der Lehrgemeinde anzuwenden und mit der Realität abzugleichen - jeder für sich, begleitet durch einen Lehrpfarrer oder eine Lehrpfarrerin. Das alles scheint aber noch sehr weit weg. Die Einstiegswochen im Klassenverband erinnern an ein überdimensioniertes Konfirmationslager, in dem man sich ständig zwischen Gruppeneuphorie und Gruppenkoller bewegt und die Abende länger werden lässt, als es die Vernunft zulässt. "Die Anderen" sind weit weg. Während irgendwo in Zürich, nur ein paar Kilometer weiter den See runter, Pfarrer Sieber den Obdachlosen Suppe austeilt, lernen wir an der Goldküste Bildungsmodelle, Unterrichtsmethoden, Konfliktmanagment, interaktives Unterrichten und Theologisieren mit Kindern. Nach einer Woche wird der Rucksack mit einer ganzen Menge nützlicher Tips dann zugeschnürt und ins reale Klassenzimmer getragen.

Worauf ich mich am meisten freue? Auf die herausfordernden und provokativen Fragen von Kindern und Jugendlichen über Gott und die Welt! Gibt es Engel? Was geschieht nach dem Tod? Stimmt das überhaupt, was in der Bibel steht? Etcetera pp... Ich hoffe, dass ich sie dazu führen kann, eigenständig darüber nachzudenken und sich eine Meinung zu bilden, um ihre Position innerhalb oder ausserhalb der christlichen Religion zu finden - oder innerhalb und ausserhalb gleichzeitig. Das geht nämlich auch.

Das Klassenzimmer ist eine mindestens so reizvolle Perspektive wie der Zürichsee. Hoffentlich ist das Wasser nicht zu kalt!


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