Mittwoch, 4. Dezember 2013

In den Schuh wachsen

Es ist eines dieser Bilder, das sich in meinem Gehirn eingegraben hat. Das Bild stammt von meinem Vikariatsleiter Andreas Nufer und hat mir auch schon als Vorlage fuer Predigten gedient. Auf einem unser Viakariatsspaziergaenge hatte Andreas das Pfarrleben einmal so geschildert (mit der entsprechenden Handbewegung untermalt): "Wenn du wirklich etwas bewegen willst als Pfarrerin, dann musst du einen soooooooo grossen Schuh anziehen, in dem du am Anfang gar nicht richtig gehen kannst. Jeden Tag waechst du weiter rein, bis der Schuh irgendwann passt."

Gerade kommt mir das sehr bekannt vor. Wir haben fuer die Swiss Church einen wunderschoenen 'Merry Christmas' Banner machen lassen, um den Passanten in Covent Garden schoene Weihnachten zu wuenschen. Der Banner ist 1x2 Meter und wir haben keine Ahnung, wie wir ihn aufhaengen sollen. Das hatten wir uns vorher nicht ueberlegt. Aber ich lasse mich keinenfalls entmutigen, denn es heisst ja: Zuerst laesst du einen sooooooo grossen Banner produzieren - und dann ueberlegst du dir, wie du ihn aufhaengen willst.

Ich habe meine wichtigste Lektion als Vikarin offensichtlich gelernt.

Freitag, 22. November 2013

Die kleinen Wunder Londons

Was fuer eine aufregende Woche... und ich ganz ohne Mobiltelefon, um sie zu dokumentieren! Die Auszeit von meinem Mini-Apparat geniesse ich zwar, aber das posten von Fotos per Social Media fehlt. Ich ertappe mich immer wieder dabei, wie ich das iPhone zuecken will, um meinen Aufenthaltort mit der ganzen Welt zu teilen. So muessen nun halt Worte genuegen.

Am Mittwoch und Donnerstag hat die Modefirma 'Hobbs' die Kirche mit Frauenfruehlingsmode und ranken Models belebt (mich haben sie natuerlich fuer ein Model gehalten... aber mein ungelenker Hueftschwung und meine Lachfalten haben mich verraten). Als Dank gab's einen grossen Blumenstrauss und zwei Flaschen Prosecco fuer unseren Kuehlschrank. Die Herrenmode steht im Januar an.

Und dann gibt es ja in diesem London immer wahnsinnig viel zu entdecken. Ueberall verstecken sich kleine Wunder. Am Mittwoch war ich zum St Cecilia Festival in die Westminster Abbey geladen. St Cecilia ist die Schutzheilige der Musiker, und jedes Jahr organisiert der Musician Benevolent Fund ein glamouroeses Fundraising Event zu Ehren eines Musikers. Dieses Jahr wurde das 100. Geburtsjubilaeum von Benjamin Britten erinnert. Der Musician Benevolent Fund (MBF) unterstuetzt Musikerinnen und Musiker, die durch Unfall, Krankheit oder Lebenskrisen in Notlage geraten. Die Swiss Church verbindet mit dem MBF zweierlei: erstens ist der Fluegel, der in unserer Kirche steht, langfristige Leihgabe des Funds. Zweitens wird das Musikprogramm der Swiss Church von einer der aktivsten Goennerinnen des MBF kuriert, Dr Ursula Jones, auch Mitbegruenderin des Benjamin Britten Chamber Orchestra und Vorstandsmitglied des KKL in Luzern. Nach dem Gottesdienst ging es zum Mittagessen zur beruehmten Whitehall Banqueting Hall, von wo dereinst Koenig Charles I zu seiner Enthauptung schritt.

Gestern waren ich und Nicky (= das Swiss Church team) zum Empfang in der London Library geladen - eine private Bibliothek mit einer ausserordentlichen Sammlung an fremdsprachigen Buechern (u.a. 40'000 deutsche Werke). Dieses versteckte Schmuckstueck ist sonst nur Mitgliedern zugaenglich (£460 pro Jahr), zu denen sich in der Vergangenheit illustre Personen wie Virginia Woolfe oder Charles Darwin zaehlten. Ein fantastisches Gebaeude und ein Paradies fuer Buchliebhaber! Ein paar Mitgaeste liessen sich fuer unseren Fondue Fundraiser begeistern - 'Swissness' zieht!

An solchen Tagen liebe ich das Leben in London, auch wenn mich die abendliche Rush Hour manchmal fast um den Verstand bringt und ich mich nach Heidiland und der ueberschaubaren Quartiermigros sehne.

Donnerstag, 14. November 2013

Die Klagemauer

Ich habe die Sonne in Spanien wieder gegen das gedimmte Licht in der Kirche eingetauscht. Waehrend erstere mich in den erst vergangenen Sommer zurueckholte, erinnert mich zweiteres an die Weihnachten, die da draussen vor der Tuer steht. Ich mag diese Zeit. Nie sind die viele Menschen so aufgeregt und hoffnungsvoll. Die bunten Lichter in den Strassen Covent Gardens machen alle so freundlich. Kaelte ist in England gar nicht so schlimm. Es gibt ja die gemuetlichen Pubs.

Damit die Einkaufenden im Vorweihnachtstumult auch etwas Ruhe finden, bauen wir unser spirituelles Programm im Advent aus. Donnerstags vor dem 'Prayer&Pub' gibt es eine Stunde 'Sit in Silence'. Man kann sich zum stillen Gebet, zur Meditation oder zum Kaffeetrinken dazugesellen und die Einkaufstaschen zur Seite stellen. Zu diesem Zweck werde ich auch wieder die Klagemauer aufbauen, ein neues Asset der Swiss Church, das ich am Gedenkgottesdienst an Allerheiligen eingefuehrt habe und das grossen Anklang fand. Wie bei der Klagemauer in Jerusalem koennen BesucherInnen ihre Gebetswuensche und Gedanken auf einen Zettel schreiben und zwischen den Backsteinen ablegen. Auf der Mauer koennen Kerzen angezuendet werden.

Die Gesteinsbrocken stammen noch vom Umbau der Kirche und waren im Keller unten versteckt. Nun kriegen sie eine neue Funktion.



Mittwoch, 16. Oktober 2013

Next stop: Swiss Open Urban Church

Die Swiss Church in London steckt derzeit mitten im Umbau. Nicht der kuerzlich neu eroeffnete Kirchenraum wird diesmal umgebaut, sondern die Finanzstruktur. Die Oase der Ruhe und Stille mitten in der geschaeftigen Grossstadt verliert innerhalb der naechsten zwei Jahre ihren Hauptsponsor. Wer koennte dies sein? fragt die geneigte Leserschaft sich nun vielleicht. Die Botschaft? Die UBS? Oder vielleicht ein grosszuegiger Privatespender, der seinen Wohnsitz wieder in die Schweiz verlegt? Falsch geraten. Es ist das Schweizer Kirchenvolk selber, das bisher ueber obligatorische Abgaben an den Schweizerisch Evangelischen Kirchenbund (SEK) die drei Auslandkirchen in Italien, Argentinien und England unterstuetzt hat. Diese automatische Unterstuetzung soll mit der neuen Verfassung zu Ende gehen. Die strukturelle und finanzielle Mitverantwortung fuer die drei Auslandkirchen soll darin keinen Platz mehr finden. Konsequenterweise wird damit auch der Geldhahn zugedreht.

Was heisst das nun konkret fuer die Swiss Church in London? Die finanzielle Struktur setzt sich bisher wie folgt zusammen:

13% Spenden und Kollekten
35% Vermietung des Kirchenraumes
5% Fundraising
46% Unterstuetzung SEK
1% Anderes

Bei einem durchschnittlichen Jahresumsatz von rund £150'000 (oder 220'000 CHF) ergibt das eine Luecke von summasumarum... ach, ich ueberlasse die Rechnerei der geneigten Leserin.

So, nun aber fertig mit der Rechnerei. Damit wir hier auch weiterhin Schweizer Kirchengruppen bei der Planung der Konf- und Vikariatsreisen unterstuetzen und den SchweizerInnen waehrend ihrem kurz-, mittel- und langfristigem Englandaufenthalt Heimat sein koennen, brauchen wir alternative Wege der Finanzierung.

In Zusammenarbeit mit einer Unternehmensberaterin und mit der Unterstuetzung von PfarrkollegInnen aus der Schweiz arbeiten wir derzeit an einem Konzept. Eine offene Urban Church soll die Swiss Church sein, die Tradition und Moderne vereint, Schweizer Wurzeln pflegt und gleichzeitig Treffpunkt fuer Covent Garden ist. Ein Hafen der Stille und Besinnlichkeit, in dem Menschen sich ausruhen und austauschen koennen.

Werte Leserschaft, ihr koennt schon jetzt einen Beitrag leisten: direkt aufs Konto der Swiss Church oder etwa durch das Erwerben einer Orgelpfeife.

Oder: indem ihr dies hier lest, herumerzaehlt und angeregt diskutiert.





Freitag, 11. Oktober 2013

Grippeimpfung fuer Pearl Harbor

"In Ameeeerica...! In Ameeeerica...! In Ameeeeerica...!" singen sie.

Das Musical heisst 'From Here to Eternity' und hatte letzte Woche Premiere im Shaftesbury Theater, gleich gegenueber der Swiss Church. Die Plakate haengen in jedem U-Bahn-Schacht und bewerben die tragische Pearl Harbor Liebesgeschichte. Jetzt tanzen und singen vierzig Musicalstarletts in der Swiss Church und feilen noch an Details fuer die Show. Es ist ein Kaeferfest im Haus - so wie ich das liebe! Es ist ein bisschen wie diese Fernsehshows, wo man unter der strengen Kritik Dieter Bohlens Star werden kann, aber in echt.

Als ich vom Klo zurueckkomme, begegnet mir auf der Treppe so ein junger Mann. Sieht aus wie Danny von Grease mit gefuetterter Lederjacke. Vielleicht hat er ja tatsaechlich mal Danny gemimt...? Er fragt mich: "Do you know where the flu jabs are?" Die Grippeimpfung? Da kann ich leider wirklich nicht helfen. Ich kann hoechstens beten, dass dich kein Virus erwischt (habe ich natuerlich nicht gesagt). Die ganze Tanzkompanie kriegt also eine Grippeimpfung verabreicht, dass die Show auch ja jeden Abend rund laeuft.

Mir soll's recht sein. Schliesslich kriegt das ganze Swiss Church Team Gratiskarten fuer die herzzerreissende Weltkrieg-Show.

Bitte kommt wieder, ihr schoenen und talentierten Menschen! Ihr seid eine sehr angenehme Bueroaussicht und Hintergrundsmusik. Moege euer Weg mit Erfolg gesegnet sein!





Freitag, 27. September 2013

Die Pringle's Dose an der Handorgel

Ich beschreibe ja gerne Szenen aus dem Alltag. Hier ist eine aus der U-Bahn:

Auf dem Weg zur Arbeit, der mich jeden Tag in die Tiefen des verschlungenen Londoner U-Bahn Systems nach Covent Garden fuehrt, sassen heute zwei junge Touristinnen neben mir. Die eine Frau benutzte ihre Smartphone-Kamera, um ihre Lippen mit einem scheinbar neuen pinken Lippgloss zu bemalen. Sie hielt ihn ihrer Freundin mehrmals zum Beschnuppern hin. Gegenueber sassen drei nur wenig aeltere Kopftuchtraegerinnen, wahrscheinlich ebenfalls Touristinnen oder Austauschstudentinnen, die sich sichtbar ueber das oeffentliche Schminken unterhielten - leider in einer mir unbekannten Sprache. Des Weiteren sass da eine mittelalte Kopftuchtraegerin mit sehr traurigen Augen, wahrscheinlich auf dem Weg zur Arbeit.

Am Russell Square stieg ein Handorgelspieler zu, eine kleine leere Pringle's Dose ans Instrument geklebt, um Almosen fuer seine musikalische Einlage zu sammeln. Ich war als erste dran, und wie immer war ich hin- und hergeworfen zwischen meinem Herzensinstinkt, den jungen Mann zu unterstuetzen, und meiner Ratio, die mir sagt, dass ich damit die missstaendlichen Strukturen, die halb oder ganz illegale Lebenslagen erst hervorbringen, indirekt unterstuetze. Ich habe mich fuer die Ratio entschieden.

Alle vier Frauen mit Kopftuch haben grosszuegig in die Pringle's Dose geworfen. Alle Nicht-Kopftuchtraegerinnen haben den Kopf geschuettelt und die Augen gesenkt (wohl mehrheitlich nicht aus innerer Zerrissenheit). Diese kleine Alltagsszene hat mir wieder einmal bewusst gemacht, wie gross die kulturellen Unterschiede im Mikrokosmos U-Bahn, Abbild unserer Gesellschaft, sind.

Ich weiss noch immer nicht, was die richtige Entscheidung ist ---

Dienstag, 10. September 2013

Gewöhnungsbedürftig


ö ä ü

An gewisse Dinge gewöhnt man sich. Zum Beispiel daran, die Umlaute zum Verfassen eines Blogeintrags aus dem Word zu kopieren. Clever, nicht? Man gewöhnt sich auch daran, dass die Menschen ziemlich konsequent Schweiz und Schweden verwechseln. So heute wieder auf dem Zahnarztschragen:

"Is dental treatment more expensive in Switzerland?" - "Probably, yes, but it's covered by the health insurance." - "Most things are more expensive in Scandinavia." (Und bevor ich etwas erwidern kann, machte sich der Laserstrahl ans Zertrümmern meines Zahnsteins.)


An gewisse Dinge kann man sich so halb gewöhnen. Zum Beispiel daran, dass man die zahnärztliche Kontrolle und die Dentalhygiene aus dem eigenen Portemonnaie zahlt. (Und wem haben wir es zu verdanken? Maggie Thatcher!)

"£100 please, Miss." (Karte rein, Code eintippen, 150 Franken weg)


An gewisse Dinge kann man sich nicht gewöhnen . Zum Beispiel die Frage aus der Gemeinde, ob denn in meinem Wohnviertel nicht "many Arabs" leben würden? Dass die Frage in der Schweiz hin und wieder mal auftaucht, ja daran habe ich mich (leider) gewöhnt. Wie den Wahl-LondonerInnen der Mix der Kulturen in London aber überhaupt noch auffallen kann, das ist mir ein Rätsel.


Für Prayer&Pub habe ich mich übrigens auf den richtigen Ratschlag verlassen. Wir haben zu viert einen sehr schönen Abend verbracht, im meditativen Gebet und im Pub. Ich habe keine Zweifel, dass sich diese 'fresh expression' etablieren wird.

Donnerstag, 5. September 2013

"Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen sind..."


Heute starte ich etwas Neues. Die Veranstaltung heisst Prayer&Pub, findet jeden Donnerstag Abend statt und haelt genau das, was sie verspricht: erst wird gebetet, dann geht's ins Pub.

In zwei Stunden ist es soweit. Und wie immer, wenn man etwas Neues einfuehrt, fragt man sich: kommen da wohl ueberhaupt Leute? Habe ich das jetzt nur fuer mich alleine vorbereitet? Ist 18 Uhr vielleicht zu frueh? Und traue ich mir es wirklich zu, einen Taize Song einzufuehren, mit dem Risiko, dass den keiner kennt und auch niemand Franzoesisch aussprechen kann?

Zum Glueck aber begleiten mich in solchen Momenten die weisen Worte meines Lehrpfarrers Christoph Semmler. Als ich einmal einen Gemeindeabend mit Musik, Lesungen, Filmprojektion und naechtlicher Meditation in der Kirche Heiligkreuz plante, plagten mich die gleichen Fragen: da kommt keiner, das wird ein Flop, so peinlich. Worauf mich Christoph fragte: was kann den passieren? was wuerdest du als 'Flop' definieren? Worauf ich sagte: weniger als zehn waere ein Flop. Worauf er nur lachte und sagte, dass bestimmt zehn Personen da sein werden. Es waren dann mehr.

Als ich mein Prayer&Pub der Kirchenpflege der Swiss Church in London schmackhaft machen wollte (die uebrigens sehr offen fuer meine Initiativen ist und mich meistens unterstuetzt), meldete sich einer der Kirchenpfleger mit der Anmerkung: das wuerde er jetzt aber langsamer angehen. Er zweifle, ob sich da TeilnehmerInnen finden lassen wuerden. Worauf ich, ganz cool Christoph zitierend, erwiderte: was kann denn Schlimmes passieren? Wenn ich alleine bin, dann bete ich halt alleine.

Heute fuehre ich den Abend also zum ersten Mal durch. Und morgen werde ich wissen, ob ich mir den richtigen Rat zu Herzen genommen habe.

Obwohl, ein paar weitere Versuche werde ich mir sicher noch geben...

Freitag, 30. August 2013

Tschiiiises!

Kuerzlich hat einer mein Jesusbild zerruettet. Ich habe mir Jesus bisher als eher schmaechtigen, leicht ungepflegten Mann mit einer unbeschreiblich liebenswuerdigen Ausstrahlung und doch resolutem Auftreten vorgestellt. Er konnte ja zeitweise sehr aufbrausend sein. Ich gebe zu, in meiner Vorstellung hatte Jesus helle Haut und blondes Haar - da bin ich doch total kulturgepraegt - obwohl eine dunkle Haut und schwarzes Haar bei Weitem logischer waeren.

Ich hatte mich ja schon ueber einige Jesusvorstellungen gewundert, besonders ueber die von Konfirmanden und Konfirmandinnen. Ich erinnere mich noch gut daran, wie wir im Konfunterricht mal verschiedene Jesusbildnisse im Kirchenraum ausgelegt hatten. Die Aufgabe der Jugendlichen war es, sich alle Bilder anzuschauen, zu kommentieren und zu sagen, welches Bild ihrem Jesusbild am naechsten kommt. Und was hat die ueberwiegende Mehrheit gewaehlt?

 

Nun ja, so weit von meinem kulturell gepraegten Blondschopf ist er ja nicht entfernt...

Nun aber das: an einem Gottesdienst im Berner Muenster mit ueber 600 Gaesten (es wurde ordiniert) hat der Pfarrer doch tatsaechlich folgenden Satz gepredigt (ungefaehres Zitat): "Ich mag diese Vorstellung von Jesus, wie er gross und breitbeinig (sic!) am See Genezareth steht." ---

Stephan Greminger's photo.Natuerlich konnte ich mir nicht verkneifen, den Satz auf Facebook zu posten, worauf ich folgendes Bildmaterial auf meiner Timeline fand:









Ein Gutes hatte die fehlplazierte Vorstellung des breitbeinigen Jesus ja: ich habe mal wieder ueberlegt, dass mein hellhaeutig-blones Jesusbild genauso fehlplaziert ist.





Mittwoch, 21. August 2013

Gemeindeleben in der Metropole

Heute war besonders viel Betrieb in der Swiss Church. Die Passanten und Passantinnen drueckten sich die Klinke in die Hand (zumindest symbolisch, da die Tuere ja offen steht und es demnach keine Klinke zu betaetigen gibt).

Revd Melanie and Veronica von der St George's Church in Islington stiessen auf ihrem Spaziergang durch die Innenstadt auf die Schweizer Kirche... und waren begeistert! Genau so begeistert war ich von den beiden Frauen, die eine einzigartige Waerme und Freundlichkeit ausstrahlten und ein bisschen davon in der Swiss Church zurueckliessen.

Zwei Event Veranstalterinnen vom unabhaengigen Filmnetzwerk 'The Smalls', die am 5. und 6. September eine Vielfalt von Kurzfilmen auf mehreren iPads zeigen werden.

John, ein obdachloser Akademiker, der immer mal wieder zu uns kommt - auf ein Gespraech oder einfach um sich etwas zu erholen.



Mittwoch, 7. August 2013

Seelsorge in der Augenklinik

Paul verliert sein Augenlicht. Der Mann, der in den 1960er Jahren dem Kommunismus in seiner tschechischen Heimat über Belgien nach England entflohen ist und viele Jahrzehnte im internationalen Bankenwesen tätig war, sieht nur noch verschwommen. Eine grosse Lupe, die er stets auf sich trägt, hilft ihm durch den Alltag. Wenn er sehbehinderte oder blinde Menschen mit Taststöcken erahnt, fühlt er sich von seiner eigenen Zukunft bedrängt - er kriegt es mit der Angst zu tun. Die Angst vor vollkommener Dunkelheit. Als es angefangen hatte, damals vor zehn Jahren, hatten sie ihm gesagt, dass man in sieben Jahren eine Stammzellentherapie für sein Leiden entwickelt haben würde. Jetzt sagen sie, das dauere noch weitere zwanzig Jahre. Schon zehn Operationen hat er hinter sich: sechs am rechten und vier am linken Auge. Erst kürzlich musste Paul notfallmässig ins Krankenhaus eingeliefert werden. Er verlor beim Gartenpflegen das Gleichgewicht und verletzte sich am Kopf.

Ich bin zum Routinecheck im Moorfields Eye Hospital, die weltweit führende Augenklinik. Man kann ja über die NHS sagen, was man will, aber behandelt und untersucht werden hier alle, wirklich alle, auf allerhöchstem Niveau. Ebenfalls im Wartesaal sitzt ein Mann in abgewetzten Kleidern. In seiner Plastiktüte trägt er so dies und das mit sich - vielleicht seine ganze Habe.

Der schwarze Punkt mit leichtem Schleier in meinem Blickfeld stellt sich als eine kleine Narbe in einer tiefen Schicht meiner linken Retina heraus. Kein Grund zur Sorge. Nach drei Stunden im Eye Hospital kann ich die Klinik beschwingt und beruhigt verlassen. Der kleine Punkt beim Blick auf eine weisse Wand oder in den blauen Sommerhimmel gehört nun halt zu meinem Leben.

In der U-Bahn sehe ich von weitem Paul. Er tastet sich in die U-Bahn hinein, weiss kaum, wo er den Fuss hinstellen soll. Dann lässt er sich mit viel Mühe in einen Sitz fallen. Er sieht wirklich fast nichts mehr, aber es fällt ihm schwer, das zu glauben. Ich hoffe, dass Paul sich in der Dunkelheit, die ihn wohl bald einholen wird, nicht verliert. Ich hoffe, dass er in seiner Angst tröstende Momente erfährt. Ich wünsche ihm Kraft und Wärme und Gottes Segen.

Dienstag, 6. August 2013

Beim Koifför

Kürzlich war ich beim Koifför - ein neuer, weil ich ja in einer ganz anderen Gegend wohne. Die junge Frau aus Griechenland stellt die üblichen Fragen, die man beim Frisör so hört: Do you live here? What do you do? Pfarrerin ist selten die Antwort, die das Gegenüber erwartet (obwohl die Koifföse ja meistens nicht gegenüber sondern hinter einem steht) - und mit einem orthodoxen Hintergrund schon gar nicht.

Das Gespräch ist sehr nett und die Frau, die mir die Haare schneidet, interessiert sich sehr für die Schweizer Kirche.

Als ich zahlen will, zücke ich die Karte. Die Frisörin macht mich darauf aufmerksam, dass sie leider nur Cash nimmt und verweist mich zum Geldautomaten über die Strasse.

Ich: "Should I leave my bag...?" (quasi als Pfand)

Sie: "No, no, it's fine.... you're a vicar!"

Mittwoch, 31. Juli 2013

Stachelbeerichueche

Man kommt ja kaum zum Bloggen im Pfarramt. Das hat mir natürlich wieder keiner gesagt! Aber so leicht lasse ich mich nicht unterkriegen. Nein. So leicht nicht.

Heute ist Besuchstag. Mittagessen war ich mit SEK Präsident Gottfried Locher in Chinatown. Als ehemaliger Pfarrer an der Swiss Church zieht es ihn immer wieder zurück an seinen ehemaligen Arbeitsplatz. Godi und Barbara Locher sind ja eigentlich dafür verantwortlich, dass ich nach mehr als zehn Jahren wieder einmal einen Kuchen gebacken habe (was mir viele Gemeindepunkte einbrachte). All die Brombeeren, Himbeeren und Stachelbeeren im Pfarrhausgarten stammen nämlich aus der Locher-Ära. Danke, gell! Der Stachelbeerichueche war ein grosser Erfolg.

Natürlich haben wir uns auch über die finanzielle und strukturelle Ablösung der Swiss Church vom SEK unterhalten. Von dieser Ablösung ist schon seit einigen Jahrzehnten die Rede, doch an meiner Amtszeit wird der Kelch nun nicht mehr vorüber gehen. Ich werde die Übergangs- oder Untergangspfarrerin in eine (oder keine) neue Ära der Schweizer Kirche sein. Das rege Interesse an der Swiss Church und an London in der Schweizer Kirchenlandschaft spricht jedoch eher für einen Übergang, ja sogar für eine blühende Zukunft der Swiss Church in Covent Garden.

Womit wir bei Besuch Nummer zwei wären. Heute Nachmittag kommt Pfarrerin Maja Zimmermann vom Berner Münster zu Besuch - nur gerade zwei Wochen, nachdem die Berner VikarInnen in London unterwegs waren. Dass die Swiss Church in London für viele eine Anlaufstelle ist und bleibt, ist eine wunderbare Erfahrung, die ich mir in diesem Ausmass niemals erträumt hätte. Es ist fast, als liege die Schweiz um die Ecke...

Aber doch nur fast. Denn gewisse Dinge sind auch wieder fürchterlich weit weg. So liegen die Aus- und Weiterbildungen, die mir als Pfarrerin in den ersten Amtsjahren zustehen, in weiter Ferne - sowohl finanziell als auch geografisch. Ich stehe auf einsamen Posten, weit weg von Intervisionsgruppen, Mentoren und Aufbaukursen.

Doch zum Glück gibt es Kollegen und Kolleginnen, die mich immer mal wieder in London aufsuchen. Ihr wisst es vielleicht nicht, aber ihr seid alle Teil meiner flexibel-mobilen-informellen Intervisionsgruppe. Ihr seid meine Fort- und Weiterbildungskurse. Danke für den Besuch! Und wenn ihr im Sommer kommt, dann sind ja vielleicht gerade die Locherschen Brombeeren und Himbeeren reif...

Freitag, 12. Juli 2013

Kein Platz in dieser Welt

Chelsea ist die Gegend der Reichen und Schönen. Die üblichen High Street Shops (Mango, Banana Republic, Zara etc) haben keine Filialen, denn das hier ist das Revier von Stella McCartney, Chanel und co. Die weissen Häuserfassaden erinnern an Zahnpastawerbung und bieten einen elegant-kühlen Kontrast zu den schwarzen Edelkutschen, die davor parkiert sind. Ich kenne mich in dieser Gegend nicht aus, denn ausser dem V&A Museum und den ausgestopften Vögeln im naturhistorischen Museum gab es bisher kaum Grund hierher zu kommen. Bis heute.

Heute besuche ich Frau S. in den subventionierten Wohnungsblöcken des Edhar Court. Frau S. war früher einmal Stewardess einer europäischen Airline. Woher sie ursprünglich kommt, kann sie mir nicht genau sagen. Zu viel ist sie gereist, schon als kleines Kind mit ihrer Mutter. Wir sprechen französisch miteinander. Sie erzählt von ihrem Neffen in Frankreich und ihren ehemaligen Arbeitskolleginnen in Kanada. Frau S. kann kaum mehr gehen und ist in ihrer Wohnung in Chelsea gefangen. Wäre da nicht ihr "Engel", Jamira, eine philippinische Frau in meinem Alter, die bei Frau S. wohnt und sie Tag und Nacht pflegt, um ihren kranken Eltern in den Philippinen den Arzt bezahlen zu können und für ihr Stipendium als Medizinstudentin zu sparen.

Frau S. sagt sie weine oft und sehne sich nach Gesprächspartnerinnen, mit denen sie über Politik, Gesellschaft und Geschichte reden kann. Sie will die Welt in ihr Wohnzimmer holen. Sie sehnt sich danach, zu einem Kreis von Menschen zu gehören, die sich wöchentlich bei ihr zuhause treffen.

Nirgends hat Einsamkeit ein so brutales Gesicht, wie in einem der wohlhabendsten Grossstadtvierteln der Welt, wo scheinbar alle alles haben. Frau S. hat keinen Platz mehr in dieser Welt.

Beim Verabschieden frage ich mich, wie oft Jamira nachts wohl heimlich in ihr Kissen weint. Sie hat noch nie einen Platz in dieser Welt gehabt. Und so wirklich einen Platz hat sie nicht einmal in der Welt von Frau S.


Mittwoch, 10. Juli 2013

Ehrenmitglied der Church of England

Die Vollversammlung der Konferenz Europäischer Kirchen in Budapest war inhaltlich eher ein Krampf. Strukturelle Fragen und die Verabschiedung einer neuen Verfassung haben die Gemüter erhitzt und zum einen oder anderen unschönen Konflikt geführt. Die Breitenwirkung der 14. KEK Vollversammlung lässt sich daran messen, dass die meisten Medien (auch ref.ch) die Headline "KEK verlegt den Sitz von Genf nach Brüssel" gewählt haben. Sehr viel mehr gibt es wirklich nicht zu sagen, ausser dass die KEK Frauen- und Jugendquoten nach zwanzig Jahren gestrichen hat, zahlreiche ökumenische Partnerorganisationen ihren Beobachterstatus verloren haben (zwecks Verschlankung der Strukturen, what else!) und unter dem Druck der orthodoxen Brüder und Schwester die Formulierung 'Worship together' durch 'Pray together' ersetzt wurde.

Gute Nachrichten gibt es dennoch für die Schweizer Kirche in London. Eine europäische Kirchenversammlung lohnt sich nämlich alleweil zum Pflegen alter Kontakte und zum Ausbau neuer Netzwerke. Der neue Pfarrer der Dutch Church in London, Rev Joost Roselaers, war Mitglied der niederländischen Delegation und wir konnten bereits Pläne zur Zusammenarbeit schmieden. Der Vertreter der Churches Together in Britain and Ireland (CTBI), Rev Bob Fyffe, hat Interesse angemeldet, die Schweizer Kirche für die CTBI Versammlungen zu mieten. Und Canon Robert Jones hat sich für Gottesdienststellvertretungen angeboten.

Die Delegation Grossbritanniens wurde zu meiner neuen Heimat. Der Bischof von Guilford, Christopher Hill, hat mich beim feierabendlichen Bier in der Hotellobby kurzerhand zum Ehrenmitglied der Church of England ernannt - er ist jetzt Präsident der Konferenz Europäischer Kirchen. Congratulations!

Soll mal einer sagen, die KEK Vollversammlung trüge keine Äpfel.


Donnerstag, 20. Juni 2013



Der Kopf des Herrn.

Mit einem Gruss an Pastor Thomas Dummermuth auf der anderen Seite des Ozeans. 

Mittwoch, 19. Juni 2013

Gesucht: Der Kopf des Herrn

Heute habe ich im engen Kellerraum, hinter Stühlen und Bänken, den Kopf Christi gesucht. Gefunden habe ich den Glaskasten, unter dem der Kopf des Herrn ausgestellt werden sollte. Auch ein bequemes Sitzkissen habe ich gefunden, das nun seinen Platz im Kirchenraum gefunden hat - zum Meditieren oder Chillen. Doch der Kopf des Herrn war nirgends. 

Die Schweizer Kirche in London, in der ich seit drei Tagen Pfarrerin bin, hat ein Kellergeschoss mit Küche und Stauraum, wo sich Bibeln, Gesangsbücher und Tische unterbringen lassen. In einem der Schränke habe ich schliesslich auch den Kopf Christi entdeckt - leidvoll, dunkel, ein hölzerner Kopf mit Dornenkranz, ausgehöhlten Augen und offenem Mund. Die Dornen des Kranzes brechen ab, sobald man den Kopf zu bewegen versucht. Trotz der erschreckenden Begegnung trage ich den schweren Kopf nach oben, um einen Platz für das Stück Kirchenkunst zu finden. Auf dem Weg brechen nochmals etwas vier Zacken aus der Krone, und schliesslich gebe ich das Unterfangen auf.

Der Kopf des Herrn steht nun wieder unten im Schrank. Ein diskretes Kreuz an der Wand hinter dem Abendmahlstisch erinnert an den Kreuztod Christi. Auf dem Abendmahltisch stehen eine alte aufgeschlagene Bibel und ein Strauss violetter Blumen. Dazu brennt das Licht der Osterkerze. Friedlich ist es.

Der leidende Christus mit den losen Dornenzacken passt einfach nicht so recht ins Bild.